Was bewegt Menschen, anderen Menschen Leid zuzufügen? Welche psychische Grundkonstitution liegt dahinter? Was muss in einem Menschen intrapsychisch vorgehen, um die Not eines anderen Menschen, wie gerade aktuell bei George Floyd, zu ignorieren und ihn letztendlich zu töten. Ich wollte Profiler werden, um zu helfen, solche Menschen zu verstehen, um sie zu finden und dem entgegenwirken zu können.
Und allein in meiner Annahme, es müsse eine psychische Besonderheit vorliegen, liege ich vielleicht schon falsch. Bereits Hannah Arendt ist ihrem Buch: „Die Banalität des Bösen“ diesem Thema nachgegangen. Sie meint, das System gebe Raum für aus ihrer Sicht psychologisch gesunden Menschen, Böses zu tun. Allerdings meint sie auch, und darin stimme ich mit ihr überein, dass es immer eine individuelle Wahlfreiheit geben würde, die sich gegen die impliziten Regeln der „Gesellschaft“ stellen könnte. Was wir ja auch gerade in den USA sehen, weil viele Polizisten sich den Protesten anschließen.
Wie entsteht Rassismus?
Das ist sicher nicht in der Kürze umfassend zu beantworten, aber ein Aspekt davon ist aus meiner psychologischen Sicht die Abwehr des Fremden. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Mensch ein sich immer verändertes System ist, das sich immer, mit jeder neuen Erfahrung, neu umbauen muss, bedeutet das eine immerwährende Integration von etwas, was außerhalb von mir liegt und nicht mit meiner „Normalität“ übereinstimmt. Wenn ich gelernt habe, diesen Umbau willkommen zu heißen, führt das zu einer komplexen und in der Regel resilienten Persönlichkeit.
Das Fremde destabilisiert die Persönlichkeit
Das, was uns fremd ist, lässt Menschen meist erst einmal zurückweichen. „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, so ein plattdeutsches Sprichwort. Wir müssen das Neue, ungewohnte tatsächlich auf eine Art verdauen und in unseren eigenen psychischen Kosmos integrieren.
Das führt aber immer auch zu einem Moment der Unsicherheit – und das ist einer der Gründe, warum nicht alle Menschen das Neue oder Fremde begrüßen, weil es ihr unbewusste Sicherheitsbedürfnis unterminiert. Deswegen ist auch Schwarz-Weiß Denken so „beliebt“, weil es eine Klarheit schafft, wer wer ist. Und so hilft, die eigene Identität stabil zu halten.
Der erste fremde Mensch
Als ich Kind war, kam Turan, dessen Eltern aus dem Iran geflohen waren, in unsere Klasse. Das war ca. 1966. Er sah schon anders aus als „wir“, was bei mir zu einer vorsichtigen Annäherung führte. Meine Neugier als einer meiner Grundwerte half mir, mit der Fremdheit, die dieser Junge ausstrahlte, umzugehen. Später, als ich ca. 12 J. alt war, hatte ich eine Freundin, deren Eltern aus der Türkei kamen. Das erste Mal bei ihnen zu Hause empfand ich schon als fremd: Ich wurde mit Rosenwasser begrüßt, mit dem ich meine Hände benetzen sollte. Es roch auch so anders bei ihr. Wir waren irgendwie nicht lange befreundet – und ich meine zu erinnern, dass der Wunsch nicht von uns aus ging.
Einen Hauch von Rassismus habe ich gespürt, als ich mich mal in Bremen auf die Stelle bewarb und man mir sagte, man würde erst people of color einstellen, und wenn man da keinen Menschen finden würde, man als Weiße in die mögliche Auswahl käme. Das fühlte sich schon merkwürdig an, auch wenn ich wusste, dass dies bei diesem Arbeitgeber der Versuch war, Gerechtigkeit zu schaffen. Und es gab mir gleichzeitig ein bisschen ein Gefühl davon, wie es sonst umgekehrt aussah, selbst wenn ich es theoretisch wusste, das es eine Ungleichheit gibt.
Aber meine eigenen Erfahrungen sind ja nur der Hauch einer Ahnung, was wirklich abgeht. Mein Bruder, der in den Staaten lebt, sagte einmal, er halte seinen Sohn an, immer das Auto in Schuss zu haben, damit er nicht in die Verlegenheit käme, von der Polizei angehalten zu werden. Dieser Satz ging mir ins Herz, weil er eine ganze Geschichte von Rassismus erzählte. Mein Bruder ist mit einer Afroamerikanerin verheiratet und es ging um meinem wundervollen Neffen.
Rassismus ist leider immer noch aktuell
Jetzt sehe ich dieses Video, in dem George Floyd am Boden liegt, ein weißer Polizist, die Hände in den Taschen, kniet auf seinem Hals. Auch dann noch, als der Mann mehrfach sagt, er bekäme keine Luft mehr. Ein anderer, auch weißer Polizist, versucht die Szene abzuschirmen.
Ich kann menschlich kaum verstehen, warum sich diese Männer im Recht sahen, so zu handeln. Und vor allem, warum sie nicht abließen, als es dem Mann offensichtlich noch schlechter ging.
Ich missbillige ihr aus meiner Sicht rassistisches Handeln zutiefst.
Der Abwehrmechanismus der Spaltung
Und vielleicht ist Folgendes genau das, was in dem Polizisten vorging. Die aggressive Abwehr dessen, was als fremd angesehen wird. Der andere ist ein Verdächtiger, der damit aus seiner Sicht nicht nur sein bürgerliches, sondern auch sein Menschenrecht verloren hat.
In der Psychologie heißt das Spaltung und ist eine der frühen Abwehrmechanismen. Die Person versucht durch diesen unbewussten Abwehrmechanismus, nicht zu viel des Fremden in sich aufnehmen, und damit seine eigene Identität nicht in Frage stellen und destabilisieren zu müssen. Der nächste Schritt ist dann die Bekämpfung dessen, was man abgespalten hat, wozu man sich im Recht sieht. Wenn dies durch eine gesellschaftliche „Norm“ latent unterstützt wird, verschärft sich der Konflikt.
Letztendlich wissen wir nicht, was im Kopf dieses Polizisten vor sich ging. Aber um mit Hannah Arendt zu sprechen: Er hätte die Wahl gehabt, anders zu handeln.
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