Niemand ist im Besitz von Zeit, sondern wir unterliegen allen den gleichen Bedingungen, zumindest, was das Verstreichen von Zeit angeht. Sie tut es einfach, unabhängig davon, wie sehr wir versuchen, sie zu managen, aufzuhalten oder schneller vergehen zu lassen. Das ist Kennzeichen von Midgard, würde man im nordischen Schamanismus sagen, dass wir der Zeit unterworfen und damit vergänglich sind. Zeit konfrontiert uns damit auch mit dem Thema unserer Sterblichkeit.
Man kann genau ausrechnen, wie viel Zeit jeder Mensch zur Verfügung hat, wenn er 75 Jahre alt wird: 675 000 Stunden. Davon verbringt er, laut aktuellen Studien, täglich 3.43 Stunden auf dem Handy und nutzt sie für einen durchschnittlichen Medienkonsum von täglich 10 Stunden. 60 % fallen davon lt. Stastitika immer noch auf das vor dem Fernseher sitzen, was mich überrascht hat, da ich schon seit fast 20 Jahren kein klassisches TV mehr schaue, weil es mich gelangweilt hat. Scheinbar geht es anderen Menschen da anders.
Zeit ist eine dehnbare Variable
Diesen Sommer war ich auf einer Trekkingreise in der Mongolei – und, falls du fragst, sie war, allen wegen der Weite, echt schön und aufgrund des Wetters, echt anstrengend. Das besondere, was ich da lernte, ist, dass man dort den Tag in drei Einheiten einteilt: Vormittag, Nachmittag, Abend. Und ganz ehrlich, das ist auch sinnvoll. Allein die Pfade sind so, dass man nicht sicherstellen kann, auf direktem Weg irgendwo hinzukommen, da ein wegen starker Regenfälle über die Ufer tretender Fluss den Weg versperren kann. Dann heißt es, eine andere Möglichkeit zu finden, und die braucht Zeit. So würde man garantiert den (fiktiven) 9Uhr-Termin reißen und innerlich sehr unter Stress kommen. Die 3-teilige Zeiteinteilung ermöglicht, mehr mit dem Fluss des Momentes zu gehen und am Ende nicht gestresst, sondern entspannt gut anzukommen.
Mit ist auch klar, dass ich diese Zeiteinteilung, die mehr Raum für die nötigen Möglichkeiten des Momentes lässt, nicht einfach auf meinen Alltag in Deutschland übertragen kann. Aber es hat mich gelehrt, mich mehr dem Fluss der Zeit hinzugeben statt mich, und sei es über ein enges Zeitmanagement, ihm entgegenzustemmen. Für mein Lebensgefühl ist diese neue Haltung, die ich übe, super. Ich bin tatsächlich entspannter, mehr im Fluss. Ja, ich habe sogar das Gefühl, mehr Zeit zu haben. Manche Dinge stellen sich als gar nicht so wichtig heraus, und ich kann mit mehr Gelassenheit mit den „Störungen“ oder Herausforderungen umgehen.
Fragmentierte Zeit führt zu dem Verlust von Sinn
Je kleinteiliger wir unsere Zeit einteilen, desto weniger erleben wir sie als sinnvoll. Jeder kennt das, wenn er den ganzen Tag von einem Meeting in das nächste gehüpft ist und sich am Ende des Tages fragt, was er da überhaupt erlebt oder gehört hat. Die meisten wissen das nicht mehr, geschweige denn, wie es ihnen gegangen ist. Das (Selbst-)erleben ist auf eine Art ausgeschaltet und übrig bleibt ein Gefühl von Stress oder Hetze bis hin zu einem Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit.
Qualitative Zeit, die in der Tiefe befriedigt, empfinden wir, wenn wir Zugang zu unseren Emotionen haben oder in Kontakt mit anderen gekommen sind. Ein solches Zeitempfinden scheinen Menschen in der Mongolen, den Berichten nach, auch zu pflegen. Zeit wird weniger in Stunden, als in Erlebnissen und Ereignissen gemessen. Und die, aneinandergereiht, schenken ein Gefühl von Sinn.
Wie sehr ich zulasse, dass auch meine Zeit fragmentiert ist, habe ich krass gemerkt, als ich, nach 2 Wochen ohne WLAN oder Netz, mein Handy anschaltete. Allein 480 WhatsApp-Nachrichten aus einer Gruppe heraus, in der ich bin. Das ist der Wahnsinn, dachte ich. Im Alltag überfliege ich diese Nachrichten „nebenbei“. Aber, wenn ich es genau betrachte, muss ich bei jeder diesen Nachrichten entscheiden, ob sie einen relevanten Inhalt für mich hat, der es wert ist, über die vielen anderen Nachrichten hinwegzulesen. Das braucht meine Aufmerksamkeit und meine Zeit. Übrigens, eine Zeit, die ich nicht mehr dafür nutzen will. Ich habe mich aus der Gruppe und Zusammenarbeit verabschiedet.
Reisezeiten lassen uns als uns selbst entfremdet zurückkehren
In der Abendschule in der Vorbereitung aufs Abi hatten wir in Deutsch mal einen Text, in dem es um den Unterschied von Urlaub und Reisen ging. Im Urlaub begegnen wir dem Gewohnten, auf Reisen konfrontieren wir uns mit Fremdheit, die auch die Fremdheit in uns selbst berührt und uns selbst daher viel mehr infrage stellt, als ein Urlaub es je tun könnte.
Beide Reiseformen haben ihren Wert, aber zu reisen lässt mich immer mit viel tieferen Erkenntnissen zurückkehren, als ein Urlaub es je tat. Zum einen sieht man auf Reisen, dass es sehr unterschiedliche Lösungen für das gleiche Problem geben kann – also nichts absolut ist. Zum anderen erfährt man sich selbst noch mal auf einer tiefen Ebene und erweitert damit das Bewusstsein von sich selbst.
Reisen führen bei mir, weil man sich sein aktuelles Leben ja von Ferne oder Außen anschaut, immer zu guten Erkenntnissen und zu Geschäftlichen und Privaten weitreichenden Entscheidungen. Und wie du ja schon lesen konntest, dieses Mal hat die Reise angeregt, über meinen Umgang mit meiner Lebenszeit und welche Haltung ich einnehmen möchte, nachzudenken.
Zeit hat man nicht, man nimmt sie sich
Der Entscheidung, wie ich mit meiner Zeit umgehen will, ist eine Überlegung vorgelagert. Ich muss mir die Frage beantworten, was mir wirklich wichtig ist. Was sind die „Big Points“, für die ich meine Zeit nutzen will? Sie sind der sichere Boden, auf dem ich stehen kann. Aber ich muss auch überlegen, was womöglich Treibsand für mich ist, wo mich Kleinteiligkeit oder reiner Aktionismus im Sand der Zeit ersticken lässt.
Das Problem ist, wenn man sich gestresst fühlt, handelt man, um mit dem Nobelpreisträger Kahnemann zu sprechen, aus dem schnellen Denken heraus. Und das praktisch ist aber fehleranfällig. Und so hetzt man durch den Tag, statt sich in Ruhe einmal hinzusetzen und sich zu überlegen, was einem wirklich wichtig ist. Diese Reflexion kann man auch gemeinsam mit einer Soul & Business Mentoring machen 😉
Dann kann man aus dem langsamen Denken heraus handeln, was zu bewussteren Entscheidungen, mehr Ruhe und einem Gefühl von Kontrolle führt. Auch wenn die Zeit einfach verrinnt – ich habe zumindest die Möglichkeit zu entscheiden, wofür ich sie mir nehmen will. Und dann gilt es, mutig zu handeln und manchmal auch an den richtigen Stellen Nein oder Ja zu sagen, statt sich einzureden „man muss ja“.
Wie wirst du deine Stunden nutzen wollen?