Die Leute entscheiden sich nicht mehr, stöhnte die Tage ein Kollege von mir. Sie nehmen alle kostenlosen Angebote mit, aber wenn es dazu kommt, den nächsten Schritt zu tun, passiert gar nichts. Das war vor der Pandemie anders. Mein Sohn entscheidet sich einfach nicht, was er studieren will. Ich kann doch nicht zulassen, dass er ein Jahr zu Hause rumhängt. Ich muss erst mal eine Woche darüber nachdenken, ob ich das Coaching buchen will. Was nimmst du denn von der Speisekarte? Wenn ich mich für ihn entscheide, wird er wirklich der Traumpartner sein?
Ich habe Angst, mich zu entscheiden
Auch wenn es niemand so schnell zugeben würde, am Ende haben die meisten Menschen Angst davor, sich zu entscheiden.
Sie haben FOMO (Fear of missing out – die Angst, etwas zu verpassen, sei es Erlebnisse, Informationen oder Ereignisse).
So werden am liebsten die Zusagen für alles in letzter Minute gemacht, weil man ja hätte noch etwas Besseres bekommen können. Oft ist einem aber gar nicht klar, was das bessere gewesen wäre, bis es an die Tür geklopft hat.
Menschen schauen übrigens auch alle paar Sekunden auf ihr Handy, weil sie nicht verpassen wollen, wenn jemand mal wieder ein witziges Meme gepostet oder „Foodporn“ gemacht hat. (das zu zeigen, was man gerade isst).
Wir wollen sozial nicht abgehängt werden, sondern die Nase vorn haben, was gerade im Trend ist.
Es ist ein wenig so, als wenn man am Fluss des Lebens sitzt und die Möglichkeiten vorbeifließen lässt, immer in der Hoffnung, der noch dickere Fisch möge zu einem schwimmen und sich dann auch noch fangen lassen.
Sich da im Vorfeld nicht festzulegen, schenkt die Illusion, man wäre offen für alle Möglichkeiten und würde damit nichts verpassen. Das fühlt sich dann wie ein Gewinn an. Und gewinnen wollen wir ja alle.
Die Angst ist auch, die falsche Entscheidung zu treffen und dann mit dem Ergebnis nicht zufrieden zu sein. Oder, wie jemand sagte, dann die Sache ausbaden zu müssen.
Davor schützt natürlich auch, wenn man keine Entscheidung trifft. Man scheut unbewusst die Verantwortung für sein Handeln.
Ich will nichts verlieren
Eigentlich hasse ich meine Arbeit seit Jahren, sagte mal ein Kunde zu mir. Meine erste Frage war, wie er es dann überhaupt geschafft habe, solange dazubleiben. Na ja, sagte er, die Betriebsrente würde ich ja nicht mehr oder nur noch reduziert bekommen, wenn ich gehe. Und wer weiß, ob es die nächste Arbeitsstelle besser ist.
Außerdem habe er ein Haus in der Nähe der Arbeit gekauft und habe einen kurzen Arbeitsweg. Die Arbeit würde ihn schon lange nicht mehr erfüllen, aber zumindest wisse er, was ihn dort erwartet.
Es ist die 49 zu 51 % Haltung. Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Solange der Schmerz nicht überwiegt, fällt es uns schwerer, uns für etwas zu entscheiden, von dem wir nicht wissen, was es sein wird. Dann erscheint das Alte, gewohnte immer noch besser als das Ungewisse, was vor einem liegt. Die Entscheidung herauszuzögern, etwas zu verändern, heißt auch, weiter in der, wenn auch unbequemen Sicherheit zu verbleiben und nichts verlieren zu müssen.
Darüber gewinnt man auch soziales Mitleid und Aufmerksamkeit, wenn man sich bei anderen beklagt, wie blöd die Arbeit, der Partner oder die Stadt ist, in der man lebt. Man bekommt Trost und manchmal Ratschläge, Dinge, die guttun. Wenn man die Situation verändern würde, würde man auch das verlieren. Das kann ein weiterer, unbewusster Grund sein, die Situation so zu belassen, wie sie ist.
Ich will anerkannt sein
„Ich will das, was sie hatte!“, sagt eine Frau im Restaurant zur Bedienung. Auch wenn der 1989 erschienene Film „Harry und Sally“ schon älter ist, kennt fast jeder das Zitat.
Sally erzählt Harry, dass jede Frau einen Orgasmus vorspielen kann und macht es ihm vor. Das führt dazu, dass die Tischnachbarin vermutet, dieses Erleben müsse mit dem Essen zu tun haben. Und will, aus nachvollziehbaren Gründen, das gleiche Gericht.
Das zu nehmen, was jemand anderes am Tisch bestellt hat, kann aber auch bedeuten, dass man die Komplexität seiner Entscheidungen verringert. Wenn er oder sie das Essen gut findet, wird es schon gut sein. Man spricht jemand anderes eine Urteilskraft zu, ohne wirklich zu wissen, ob der Mensch sie überhaupt hat.
Und, das Gleiche zu bestellen bedeutet, dass man gleiche Vorlieben teilt, was ein Gefühl von Zugehörigkeit schafft.
Soziale Zugehörigkeit wird über so vieles hergestellt. Über Kleidung, Essen und Trinken, welche Bücher man liest oder welche Filme man konsumiert.
Das ist einer der Gründe, wenn ein trockener Alkoholiker sich eine Limo bestellt, seine Entscheidung meist negativ, kommentiert wird.
Sozial entsteht bei den Anderen das Gefühl, dass sich da einer absondert (und womöglich mit dem nichtalkoholischen Getränk den Spiegel vorhält, dass man vielleicht auch weniger trinken sollte). Und das ist schwer auszuhalten. Mit der Aussage: „Ein Glas wird dir doch nicht schaden“ wird versucht, die Gemeinschaft wieder herzustellen.
Aus dem Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung heraus kann es dann passieren, dass man aus den Augen verliert, was man selbst eigentlich gern mag. Und sich dann, weil man es schlichtweg nicht mehr genau weiß, tatsächlich nicht gut entscheiden kann.
Ich muss zu mir stehen, um entscheiden zu können
„Eine Entscheidung zu treffen, bedeutet, sich festzulegen, Position zu beziehen, zu etwas ‚Ja‘ und zu etwas anderem ‚Nein‘ zu sagen. Damit wird der Mensch mit seiner Position, seinen Wünschen und eben auch Entscheidungen sichtbar für andere Menschen.“ Birgit Salewski
Daher braucht es Mut und Selbstbewusstsein, sich zu entscheiden. Wenn du gelernt hast, auf deinen Kopf und dein Herz zu hören, und dir zu erlauben, deinen Wünschen zu folgen, wird es dir viel leichter fallen, die für dich! richtigen Entscheidungen zu treffen.
Denn es gibt keine absolute Entscheidung. Die einen leben lieber auf dem Land, die anderen in der Stadt. Die einen mögen die Berge, die andere lieben die See. Manche mögen Jazzmusik, andere Folk.
Mach dir klar, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Und selbst wenn sich herausstellt, wie ich es natürlich auch erlebt habe, dass eine Entscheidung nicht optimal war, kannst du ja neu entscheiden. Oder, falls das nicht mehr geht, dich der Verantwortung zu stellen, die hinter jeder Entscheidung steht.
Ich möchte dich einladen, dich zu trauen, dich zu entscheiden. Denn am Ende ist keine Entscheidung doch eine Entscheidung. Sie schafft ein Vakuum, in das jemand anderes gestaltend eingreift und dann bestimmt, wohin die Reise geht.
Und, für ein gutes Leben und gutes Business braucht es einfach an Wendepunkten in deinem Leben Entscheidungen. So wirst du zur Gestalter:in deines Schicksals.
Deine 5 Tipps für leichte Entscheidungen
- Wirf eine Münze oder setzte dir eine Deadline – beides wirkt beides gleich gut. Warum? Probier es aus. Wenn die Münze auf die „falsche“ Seite fällt, wirst du es schnell merken. Du hattest längst eine Vorliebe und so holst du sie aus dem Unbewussten heraus. Der Zeitdruck mit der Deadline bewirkt das Gleiche. Dein „Entscheidungsmuskel“ arbeitet, ohne dass du es merkst. Dann ist die Entscheidung zum Termin wie herbeigezaubert da.
- Erstelle eine Pro und Contra Liste: Die gute alte Liste hilft den analytischen Menschen unter uns. Wenn du die Liste fertig hast, erstelle dir zwei Skalen von 1 bis 10, die eine misst die positiven Gefühle, die andere die eher aversiven. Und dann trage dir ein, wie sehr die Pros und die Cons sowohl negativ als auch positiv bewertet sind. Alles, was unter 5 positiv ist, fällt raus. Alles, was über 2 negative Emotionen auslöst, auch. Dann schau, was übrig bleibt. Die Methode nennt sich übrigens Affektbilanz, da alle unsere Entscheidungen auch von Emotionen begleitet sind. So stellst du sicher, dass deine Wahl sich gut anfühlt.
- Verabschiede dich vom Schwarz-Weiß denken: Denke nicht, dass mit deiner Entscheidung das Ende der Welt gekommen ist. Egal, ob für ein Essen, eine Arbeitsstelle, für ein Auto und einen Partner. Mit der Haltung des „gut genug“ bringst du mehr Leichtigkeit in deine Entscheidungen. Mach dir bewusst, dass du dich umentscheiden kannst. Beim Essen, wenn es dir nicht schmeckt, kannst du dir ein anderes Gericht bestellen. Beim Job kannst du dir einen anderen suchen, wenn es nicht passt oder dich ganz neu orientieren. Bei dem Partner, nun, da kannst du ja erst versuchen, mit ihm darüber zu sprechen, was aus deiner Sicht eine gute Partnerschaft ausmacht. Vielleicht kommt ihr ja doch ganz überraschend auf Lösungen, die euch beide glücklich machen.
- Steuer dein Leben, statt es steuern zu lassen: Mit den Entscheidungen ist es wie mit dem Autofahren. Sitzt du auf dem Beifahrersitz, entscheidet der Mensch am Steuer, wohin die Reise geht. Erlaube dir selbst, dir zu überlegen, wie du dein Leben leben möchtest und was dir guttut. Dann versuche es einfach, alles so einzurichten, dass die Fahrt für dich ein Genuss wird. Und selbst, wenn du mal einen Umweg fährst, macht ja auch nichts, denn bekanntlich erhöhen Umwege ja die Ortskenntnis.
- Kenne deine Werte und vertraue dir selbst: Werte sind wie Fixsterne, denen man im Leben (unbewusst) folgt. Sie zu kennen, gibt viel Sicherheit in den Entscheidungen und stärkt das Selbstvertrauen. Selbsterkenntnis ist dabei der Schlüssel zum Glück und schenkt den Mut, Entscheidungen treffen zu können, statt zu verharren.
Ich wünsche dir gute Entscheidungen, die dir helfen, dein Leben wunderbar zu gestalten.
Buche dir gleich ein Kennenlerngespräch mit mir, du gerade an einem Wendepunkt stehst und weiterkommen willst.
Ich freue mich auf dich.
Liebe Renate, ein sehr schöner Artikel. Der Gedanke mit dem Beifahrer gefällt mir sehr gut. Ich glaube, das kann ich mich fragen, wenn ich den Eindruck habe, ich fahre in die falsche Richtung. Fahre ich oder jemand anderes? 🙂
Liebe Gisela, Beifahrer:in zu sein heißt auf der psychologischen Ebene auch, die Verantwortung abzugeben, was für manche ganz angenehm sein kann. Aber spätestens, wenn man merkt, man fährt in die falsche Richtung, ist es an der Zeit, das Steuer zu übernehmen. Ich plädiere ja dafür, dass schon früher zu machen. Aber das ist ja Geschmacksache.